zur Startseite

„Ich bin aus allen Wolken gefallen“
Birgit P.s ambulanter Weg aus der Schmerzmittel-Sucht

Birgit P., erinnert sich noch genau an den Tag im Mai 2016. Sie war in die Saarlouiser Praxis von Dr. David Steffen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, gekommen, um eine zunächst scheinbar banale Angelegenheit zu klären: Für eine Magen-Verkleinerungs- OP zur Reduzierung ihres starken Übergewichts brauchte sie das entsprechende Attest einer psychiatrischen Praxis. Doch statt mit diesem verließ sie die Räumlichkeiten am Saarlouiser Kleinen Markt mit der erschütternden Diagnose „Sie sind schmerzmittelabhängig!“ Jahrelang hatte die Pfälzerin Pillen gegen immer stärker werdende, diffuse Schmerzen geschluckt - woher die Schmerzen kamen, konnte keiner der Ärzte in dieser Zeit zufriedenstellend klären. Heute weiß sie, dass ihre Leidensgeschichte mit einer unglücklichen Beziehung begann. Ihre dort jahrelang unterdrückten Wünsche und Gefühle, so lernte sie in der Therapie nach dem Entzug, kompensierte die drangsalierte Seele mit körperlichen Schmerzen – deren Ursache nie wirklich geklärt worden war. Am Anfang halfen ihr noch die frei zugänglichen Medikamente aus der Apotheke, später – typisches Merkmal einer Suchtkarriere – wurden die Schmerzen immer stärker, und durch immer stärkere Mittel bekämpft – bis hin zu starken Morphium-Präparaten. Diese sich immer schneller drehende Spirale wurde schließlich mit der Diagnose der Schmerzmittel-Sucht durchbrochen.

Seit einem Jahr fühlt sich Birgit P. in der Behandlung gut aufgehoben. IANUA Gesellschaft für Prävention und Sozialtherapie mbH bietet dabei zusammen mit der Facharztpraxis Steffen und der IKK Südwest ambulante Therapien für alle Suchtformen an. Die ambulante Entzugsbehandlung findet in der psychiatrischen Facharztpraxis von Dr. Steffen statt und wird mit dem Programm der ambulanten Rehabilitationseinrichtung IANUA vernetzt. Diese Integrierte Versorgung ermöglicht den sicheren ambulanten Entzug und Vorbereitung auf die nachfolgende Suchtrehabilitation. Dr. Steffens Diagnose leuchtete ihr sofort ein, und sie konnte unmittelbar danach mit der Therapie beginnen. „Ich bin aus allen Wolken gefallen und habe sofort die Notbremse gezogen“, klingt sie noch heute erleichtert. Der ambulante Entzug und die sich anschließenden medizinisch-psychotherapeutische Maßnahmen waren für sie der einzige Weg, der sich mit der Pflege ihrer Enkeltochter verbinden ließ. Dass der Entzug brutal war, lässt sie noch heute im Gespräch durchblicken: „In den ersten fünf Tagen ist man ab und zu kurz davor, wegen der starken Schmerzen, der Unruhe und der Schweißausbrüche aus dem Fenster zu springen, das lässt dann Gott sei dank irgendwann nach.“ Angespornt hat sie dabei am meisten die Sorge um ihre Enkeltochter, für die sie schnell wieder fit sein wollte, sowie ihre Familie, die sie bei ihrem eingeschlagenen Weg voll unterstützt. Die krankmachende Beziehung hat sie längst beendet und weiß heute viel besser, wie man auf sich selber aufpasst: „Ich bin selbstbewusster geworden und habe inzwischen gelernt, auch mal ‚Nein’ zu sagen. Ich lasse mir nichts mehr gefallen. Bei einem Entzug sind auch alle anderen Suchtmittel wie Alkohol und Drogen absolut tabu. Da hat es Sinn gemacht und war einleuchtend, dass ich zusätzlich mit dem Rauchen aufgehört habe. Und abgenommen habe ich inzwischen auch, die Magen- OP war dafür gar nicht nötig.“

Heute weiß sie, dass sie nach einem Entzug immer bedroht sein wird, wieder in die Sucht zurückzufallen. „Aber wenn man mal an einen Tiefpunkt kommt, und der kommt bestimmt, dann kann man jederzeit die Therapeuten anrufen. Aber man muss es wirklich wollen. Ich habe in den Gruppenstunden Menschen erlebt, die es wahrscheinlich nicht schaffen. Aber ich packe das! Denn warum fallen wir? Damit wir wieder aufstehen!“

Dr. David Steffen, Birgit P.s Therapeut, weiß, wie schwer dieses Vorhaben durchzuhalten ist. Allerdings hat die ambulante Behandlung, wie sie in diesem Versorgungsmodell seit vielen Jahren erfolgreich ist, einige Vorteile gegenüber dem stationären Aufenthalt: Sie kann viel schneller beginnen, die oft langen Wartezeiten auf einen Therapieplatz fallen weg - und es ist eine gemeindenahe Hilfe, die in relativ kurzer Zeit vor Ort in Anspruch genommen werden kann. Die häufigsten Rückfallursachen und lange Wartezeiten zwischen den Behandlungsphasen werden verhindert. Auch habe, so Dr. Steffen, die Begleitforschung eindeutig ergeben, dass diese Form der Therapie nicht nur effektiver, sondern auch mit nahezu der Hälfte der Kosten einer stationären Behandlung zu realisieren sei. Nach der ambulanten Entzugsbehandlung und Motivationsphase wird die Behandlung im Rahmen einer – meist ambulanten – Suchtrehabilitqation fortgeführt.

Ob nun Alkohol, Drogen, Medikamente oder Schmerzmittel wie im geschilderten Fall spielt bei der Suchtbehandlung keine Rolle – denn es sind immer die gleichen Kriterien, die zeigen, ob eine Sucht vorliegt. So muss ein starkes Verlangen gegeben sein, bei steigender Toleranz der konsumierten Stoffe – wie die immer stärker werdenden Schmerzmittel bei Birgit P. -, körperliche Entzugssymptome zeigen sich beim Absetzen, es entsteht ein Kontrollverlust, immer mehr Zeit wird dafür aufgewandt, sich um das Beschaffen seiner süchtig machenden Stoffe zu kümmern bei gleichzeitiger Vernachlässigung von sozialen Kontakten, sowie nicht zuletzt körperliche Schäden, die aufgrund der Sucht eintreten. Sind nur drei dieser Kriterien sichtbar, wird von einer Abhängigkeitserkrankung gesprochen.

Oft sind es die harmlos scheinenden Schmerzmittel wie bei Birgit P., die den Einstieg in die Sucht markieren. 1,5 bis 2 Prozent der Bevölkerung, so besagt es die Statistik, sind in Deutschland medikamentenabhängig. Dr. Steffen: „Eigentlich machen wir uns zu wenig bewusst, wie groß dieses Abhängigkeitspotenzial hier bei uns ist – unter Freunden und Kollegen und in der eigenen Familie. Egal ob es nun die Baldrian- Tropfen, die Ibuprofen-Tabletten in der Büro-Schublade oder die Schmerzbehandlung mit Opiaten sind: Zu lange eingenommen oder falsch dosiert, können auch diese süchtig machen.“ Für Dr. Steffen kann jedes Ziel einer Therapie nur lauten: „’Für immer ohne’ Das geht aber nicht über eine andere Tablette, sondern muss in langwierigen, schmerzhaften Prozessen mühsam erlernt werden – und das geht nur in der Abstinenz.“

Birgit P. (Name geändert) und Dr. David Steffen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie