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Von der Sonde zu Spaghetti – Annas Weg

Als Anna geboren wurde, fehlte ein Stück ihrer Speiseröhre. In einer Not-OP konnte der Schaden behoben und Annas Leben gerettet werden. Doch nach der Operation erholte sie sich nur schlecht und konnte kaum atmen. Die Ärzte in der Klinik waren ratlos – und mein Mann Manuel und ich verzweifelt. Wir recherchierten auf eigene Faust und beschlossen schließlich, im Universitätsklinikum München vorstellig zu werden. Die Spezialisten dort hatten die Ursache für Annas Atmungsprobleme schnell gefunden: Annas Stimmbänder waren gelähmt; vermutlich die Folge einer Verletzung während der vorangegangenen Operation. In München handelte man umgehend. Anna erhielt einen Luftröhrenschnitt und eine Trachealkanüle. Bislang hatte das Ringen nach Luft all ihre Kraft gekostet. Aber als sie dann plötzlich selbst atmen konnte, konnte sie endlich auch anfangen, ihre Umwelt wahrzunehmen, sich zu entwickeln.

Nach einer längeren Genesungsphase durften wir das Krankenhaus hinter uns lassen und nach Hause gehen. Anna war damals 17 Wochen alt. Einzige Voraussetzung: Wir benötigten einen Pflegedienst, um Annas Versorgung sicherzustellen – den Wechsel der Kanüle, die Sondenernährung, auf die sie noch immer angewiesen war. Rund um die Uhr sollte eine Fachkraft bei ihr sein. Eine Herkulesaufgabe, wie sich zeigte, denn die wenigen Kinderpflegedienste in unserer Nähe waren restlos ausgebucht. Wieder haben wir angefangen, selbst zu recherchieren und sind dabei auf Ester und Nadine gestoßen, die gerade begonnen hatten, bei einem neueröffneten Pflegedienst zu arbeiten – ein wahrer Segen für uns. Zu Anfang war es eigenartig, einen fremden Menschen in der Wohnung zu haben. Wir haben dauernd aufgeräumt und uns gar nicht mehr natürlich verhalten. Schon nach kurzer Zeit haben wir dann beschlossen, dass das so nicht laufen kann. Wir wollten keine künstliche Umgebung für unser Baby, keine Kittel, keine Handschuhe, kein Siezen wie im Krankenhaus. Wir haben also alle Regeln, die üblicherweise für Pflegedienstmitarbeiter gelten, über Bord geworfen, ein Zimmer für die Krankenschwestern eingerichtet, in das sie sich auch mal zurückziehen konnten, und versucht, als Familie zusammenzuleben. Und es hat geklappt. Bis auf ihre Kanüle, durch die sie atmet, ist Anna ein Kind wie jedes andere. Sie braucht feste Bezugspersonen in ihrem Leben. Aus diesem Grund haben wir uns irgendwann dazu entschieden, die Organisation von Annas Pflegern – wir nennen sie Annas Team – selbst in die Hand zu nehmen. Mit Unterstützung der IKK Südwest konnten wir Ester, Nadine und seit vergangenem Jahr auch Franca selbst als Mitarbeiterinnen einstellen und sind nicht mehr von den Personaleinsatzplänen des Pflegedienstes abhängig.

Und wir haben bereits so viel miteinander erlebt und erreicht! Als die Ärzte uns rieten, Anna eine dauerhafte Magensonde zu legen, haben wir abgelehnt. Es wäre mir wie eine Kapitulation vorgekommen. Stattdessen haben wir an einem Netcoaching-Programm teilgenommen, bei dem Kinder Schritt für Schritt von der Sondenernährung entwöhnt werden. Eine harte Zeit. Gramm für Gramm haben wir uns gemeinsam vorgekämpft. Und irgendwann ist der Knoten geplatzt: Anna wurde vom Sondenkind zum Spaghettikind. Morgens, mittags, abends hat sie nichts anderes mehr gegessen. Inzwischen ist sie fast vier Jahre alt und ernährt sich wie jedes andere Kind. Und sie spricht! Kurz vor ihrem ersten Geburtstag hat sie ihre erste Sprechkanüle erhalten, eine Sonderanfertigung, die Luft durch ihre Stimmritze dringen lässt und ihr so das Sprechen ermöglicht. Es war so schön, ihre Stimme zu hören. Anna fand es auch herrlich. In der ersten Nacht mit Sprechkanüle hat sie fast durchgehend gesummt – so viel, dass sie am nächsten Tag heiser war! Seit sie zweieinhalb ist, besucht sie den Kindergarten in unserem Heimatdorf. Einer aus Annas Team ist dann immer dabei, falls doch einmal ein Notfall eintreten sollte oder es Probleme mit der Kanüle gibt.

Wir versuchen, mit Anna unseren eigenen Weg zu gehen – und die IKK geht ihn mit uns. Ich weiß, dass wir damit nicht immer auf Verständnis stoßen. Aber ich will nicht, dass Anna in den Grenzen leben muss, die andere ihr vorgeben. Sie geht turnen, sie reitet, sie schwimmt. Und wir reisen viel, waren gemeinsam sogar schon in Florida und in Australien. Die Glücksgefühle, die mich überkommen haben, als ich Anna auf der anderen Seite des Erdballs beim Kängurufüttern zugesehen habe, kann man sich kaum vorstellen. Und ihre Prognose ist toll: Mit etwas Glück wird Anna in ein paar Jahren ohne Kanüle eingeschult!

Agata S., 34 Jahre